Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Sozialraum und auch andere
Bereiche fühlen sich eigenartig an.
Weniger Resonant und man weiss nicht
so recht, was man so denken soll.
Es ist, als ob der innere Kompass, der jahrelang zuverlässig nach Norden zeigte, nun wild im Kreis rotiert. Die Gespräche werden vorsichtiger, tastender. Man überlegt zweimal, bevor man eine Meinung äußert, nicht aus Angst, sondern aus einer tiefen Müdigkeit heraus – der Müdigkeit, sich in einem Labyrinth aus Halbwahrheiten und hitzigen Debatten erklären zu müssen, deren Halbwertszeit oft kürzer ist als ein Nachrichtenticker.
Dieses Gefühl der fehlenden Resonanz ist vielleicht das Irritierendste daran. Wo man früher das Gefühl hatte, dass das eigene Handeln und Sprechen ein Echo in der Welt erzeugte, verhallt heute vieles im Rauschen der allgegenwärtigen Überinformation. Die Verbindung zwischen dem „Ich“ und dem „Wir“ wirkt gestört, wie ein Radiosender, der nur noch statisches Knistern überträgt.
Vielleicht liegt es daran, dass die Geschwindigkeit der Veränderungen unsere Fähigkeit zur Adaption überholt hat. Wir leben in einer Zeit der Gleichzeitigkeit:
Krisen überlagern sich, Lösungen von gestern sind die Probleme von morgen, und die Experten widersprechen sich im Stundentakt.
Man zieht sich folglich zurück – ins Private, ins Überschaubare.
Wenn der große Rahmen nicht mehr verlässlich scheint, sucht man den Halt im Kleinen.
Doch dieser Rückzug hinterlässt eine Leere. Die Sehnsucht nach Klarheit, nach einer Erzählung, die wieder Sinn ergibt und uns alle verbindet, bleibt ungestillt. Wir warten darauf, dass das Karussell langsamer wird, damit wir wieder festen Boden unter die Füße bekommen und verstehen können, wo oben und unten eigentlich geblieben sind. Bis dahin bleibt nur das Aushalten dieser Schwebe – und die Hoffnung, dass aus diesem Chaos irgendwann eine neue, verständlichere Ordnung entsteht.
Doch wenn sich der Nebel der momentanen Verwirrung kurz lichtet, blicken wir nicht auf leere Weite, sondern auf massive Probleme, die sich am Horizont zu einer undurchdringlichen Wand aufgetürmt haben. Es sind keine plötzlichen Katastrophen, die uns überraschen dürften. Es sind die strukturellen Risse im Fundament unserer Zivilisation, die wir über Jahrzehnte hinweg mit bloßem Pflaster tapeziert haben, statt sie grundlegend zu sanieren. Das Aufschieben, das Verwalten des Status quo und die politische Kurzsichtigkeit rächen sich nun synchron.
Das beklemmende Gefühl, dass es „keine Zukunft mehr gibt“, verliert dabei seinen metaphorischen Charakter. Es ist nicht mehr der rebellische Slogan einer Jugendkultur, sondern verwandelt sich in eine kalte, physikalische Realität. Wir spüren, dass unsere bloße Existenz als biologische Wesen auf diesem Planeten zur Disposition steht. Die Ressourcen schwinden, die klimatischen Kipppunkte fallen wie Dominosteine, und die sozialen Sicherungssysteme, die uns in Sicherheit wiegen sollten, ächzen unter einer Last, für die sie nie konzipiert wurden.
Das Bitterste an dieser Erkenntnis ist das Wissen um die verpassten Chancen. Es mangelte uns nie an Warnungen und sicher nicht an Ideen. Was fehlte, war die radikale Integration visionärer Denkweisen in die Mitte der Gesellschaft.
Wir haben Vordenker als Träumer abgetan und
Innovationen nur dann zugelassen,
wenn sie bequem waren und das bestehende
System nicht gefährdeten.
Wir haben uns für das verzagte „Weiter so“ entschieden, statt den Mut aufzubringen, Gesellschaft völlig neu zu denken – jenseits von reinem Wachstum und Konsum.
Diese kollektive Weigerung, über den Tellerrand des unmittelbaren Nutzens hinauszublicken, fordert nun ihren Tribut. Die Konsequenzen, die wir so lange in die Zukunft projiziert haben, sind in der Gegenwart angekommen. Wir stehen vor der Rechnung für unsere geistige Trägheit, und es scheint, als hätten wir weder die Währung noch die Zeit, um sie noch zu begleichen.
Diese Erkenntnis ist bitter und lässt wenig
Raum für naives Wunschdenken
oder optimistische Durchhalteparolen.
Dennoch – und hier liegt der eigentliche, letzte Akt des Widerstandes – dürfen wir nicht zulassen, dass die lähmende Schwere dieser Konsequenzen auch unsere innere Haltung definiert. Wenn die großen Systeme zerfallen, wenn die politischen und wirtschaftlichen Erzählungen ihre Gültigkeit verlieren, dann liegt unsere letzte, unentrinnbare Verantwortung im Kleinen.
Das "Dennoch" ist die trotzige Weigerung, die Menschlichkeit aufzugeben, selbst wenn die Struktur, die sie tragen sollte, bricht. Es liegt in der Ehrlichkeit des Blicks, in der Pflege der unmittelbaren Beziehungen und in der Wiederentdeckung dessen, was wahrhaftig und unmittelbar greifbar ist: die Integrität des eigenen Handelns, die Fähigkeit zur Empathie und die Schaffung kleiner, geschützter Räume, in denen Resonanz noch existieren darf.
Aber wir können bis zum Schluss definieren, was es für uns bedeutet, in dieser endlichen Zeit zu existieren. Vielleicht liegt die einzige verbleibende Vision darin, angesichts der Realität die Würde zu bewahren und dort einen Anker zu werfen, wo das Menschliche noch nicht kapituliert hat.
2025-12-04